Wie mein Sonntag war? Also, ähm …

Ein bekannter deutscher Tennisspieler hätte in seinen frühen Jahren wahrscheinlich eher schlecht abgeschnitten. Ein sehr langsam sprechender deutscher Komiker wohl ebenfalls. Beiden wäre ein schlechtes Zeugnis ausgestellt worden – hätte man sie einem Sprachcomputer anvertraut. Zu viele Füllwörter wie „ähm“, zu zögerlich. Also keine Führungspersönlichkeit.

Wir sagen, wer wir sind

Wie wir sprechen, sagt tatsächlich viel über uns aus. Denn ob das Glas halb voll oder halb leer ist, erkennt man in unserer Wortwahl. Und genau das sollen auch Sprachcomputer können. Im Recruiting können solche Sprachanalyse-Roboter im Bewerbungsverfahren eingesetzt werden. Ein kurzes telefonisches Interview genügt. Dabei können typische Fragen eines Bewerbungsgesprächs gestellt werden – oder auch nicht.

Der künstlichen Intelligenz geht es nicht darum, welche Vorkenntnisse jemand für den neuen Job mitbringt oder ob derjenige seine Stärken und Schwächen analysieren kann. Eigentlich geht es den Sprachcomputern nur darum, den Bewerber zum Reden zu bringen. Je länger wir ins Plaudern kommen, umso besser lassen sich Rückschlüsse auf Charaktereigenschaften schließen.
Jeder mag sich für ein paar Fragen, auf die man sich schließlich ausreichend vorbereitet, ein wenig verstellen zu können. Aber: Nicht auf Dauer. Jeder ist wie er ist – und so spricht er nun mal auch.

Noch kaum Anbieter auf dem Markt

Der derzeit bekannteste Anbieter für Sprachanalyse-Software in Deutschland ist „Precire“ aus Aachen.
Entwickelt wurde gemeinsam mit Informatikern, Psychologen und der RTWH Aachen.
Die Software untersucht in einem rund 15-minütigen Gespräch verschiedene Details der Sprache des Bewerbers:

  • Anzahl der genutzten Verben
  • Verwendung von „ich“, „wir“ oder „man“
  • Füllwörter wie „hmm“ oder „ähm“
  • Tonlage
  • Sprechpausen
  • Lautstärke

Aus diesen Beobachtungen soll die Software ein Persönlichkeitsprofil erstellen können und zwar auf folgenden Ebenen:

  • kommunikative Kompetenz: Sprachkomplexität, Sprachflüssigkeit
  • individuelle Kompetenz: Durchsetzungsvermögen, Einsatzbereitschaft
  • Persönlichkeitsmerkmale wie Kontaktfreude, Ausdauer

Erzähl doch mal …

Im Gespräch mit der Software geht es vorzugsweise um schöne Erlebnisse, einen gewöhnlichen Sonntag und ähnliches. Kommt man da erst einmal ins Erzählen, spielen die Umgebung des Telefonats, der Dialekt oder die Nervosität keine Rolle mehr. Das berichtet zumindest der Hersteller.

Einerseits irgendwie erschreckend, dass man – zumindest rein sprachlich gesehen – so einer Maschine gar nichts vormachen kann. Andererseits erfüllt die Technik damit natürlich auch ihren Zweck im Recruiting.
Der Bewerber kann sich kaum verstellen und als Personaler erhält man einen „objektiven“ Eindruck. So zumindest die Theorie. Denn die Software ist durchaus noch umstritten.

Verlassen Sie sich ruhig auf Ihre Analyse

Der Einsatz von Sprachanalyse-Software ist noch nicht weit verbreitet. Falls Sie also erwägen, diese Technik anzuwenden, sollten Sie unbedingt darauf achten, die Kandidaten über das Tool vorab zu informieren. Denn sich auf diese Art und Weise analysieren zu lassen ist sicher nicht jedermanns Sache. Setzen Sie also auf Vertrauen und beantworten Sie auch Fragen, die Bewerber zum Einsatz einer Sprachanalyse-Software haben.
Auch in Sachen Datenschutz ist Vorsicht geboten. Hier sollte beispielsweise darauf geachtet werden, dass die Aufzeichnung des Gesprächs nur für den Zeitraum des Bewerbungsprozesses gespeichert wird.

Und: Überlassen Sie nicht alles der Maschine! Es ist wichtig, sich zunächst in einem persönlichen Telefonat einen ersten Eindruck zu machen. Verlassen Sie sich ruhig auf Ihre professionelle Menschenkenntnis. Die Analyse der Software kann Sie bei der Auswahl eines geeigneten Kandidaten unterstützen, aber Ihren Job nicht ersetzen.