Ein Statement zum Thema Duzen und Siezen
Von Matthias Lindenmaier

„Entschuldigung – kennen wir uns?“ So oder ähnlich würden Sie vermutlich reagieren, wenn Sie ein Unbekannter auf der Straße einfach duzen würde. Im Internet – vor allem in den sozialen Medien – wird es hingegen immer selbstverständlicher, fremde Menschen mit „Du“ anzusprechen. Warum nur? Diese Frage stelle ich mir schon länger. Es ist mir ein persönliches Anliegen, die Anrede bewusst zu wählen – nicht nur, um zwischen fremden und bekannten Personen zu unterscheiden, sondern auch, um gezielt Distanz zu wahren oder Nähe herzustellen.

Könnten Sie sich vorstellen, Angela Merkel zu duzen? Oder gar die britische Queen? Verrückte Welt. Normal scheint es hingegen zu sein, auf eigentlich businessorientierten Social Media Plattformen kumpelhaft angerempelt zu werden à la: „Hey Du, ich kenne Dich zwar nicht, aber ich hab ein tolles Angebot für Dich!“ Ich antworte auf solche Anfragen erst gar nicht, weil ich auch gar nicht wüsste, was ich dieser Person schreiben sollte. „Hey Sie, tolle Idee, aber bitte siezen Sie mich gefälligst?“

Wenn schwedische Möbelhäuser mich duzen, habe ich damit kein Problem. Schließlich meinen die mich nicht persönlich, sondern sprechen ihre Zielgruppe auf diese Weise an. Und ich habe dann die Möglichkeit zu entscheiden, ob ich mich der zugehörig fühlen möchte oder nicht. Auch kann ich nachvollziehen, dass sich hippe Programmierer eines Berliner Startups untereinander duzen. Aber als Geschäftsführer eines Unternehmens, der tagtäglich mit Dienstleistern, Kunden und Geschäftspartnern interagiert und Personalverantwortung trägt, kann und will ich nicht distanzlos sein. Mit dem „Sie“ zeige ich meinem Gegenüber Respekt, bin höflich und lasse ihm seinen Raum. Das „Sie“ ist sozusagen die verbale Armlänge Abstand, die die Privatsphäre beider Personen schützt.

Die englische Sprache kennt das Problem der Entscheidung für die korrekte Anrede nicht, sie ist mit dem „you“ fein raus. Eine Unterscheidung wird – wenn überhaupt – allenfalls über die Ansprache mit dem Vor- oder Nachnamen getroffen. Aber ich beneide Briten und US-Amerikaner deshalb nicht. Ich finde es gut, dass die deutsche Sprache differenziert. Und ich finde das „Sie“ auch keineswegs spießig oder altmodisch.
Mit dieser Meinung bin ich übrigens nicht allein. Das junge Hamburger Marktforschungsinstitut Appinio hat 2019 eine Studie durchgeführt und 4.877 Deutsche zwischen 16 und 54 Jahren dazu befragt, wann duzen oder siezen im Alltag und am Arbeitsplatz angebracht ist. Das Ergebnis: Für 61 Prozent aller Befragten ist das Siezen ein Zeichen von Respekt, Höflichkeit und Zurückhaltung, nur 15 Prozent empfinden die formelle Anrede als verstaubt. Erstaunt hat mich allerdings die Reaktion auf die Frage nach dem ungefragten Duzen. Das findet zwar nur ein Fünftel der Befragten generell positiv, aber lediglich 12 Prozent bewerten es negativ. Die überwiegende Mehrheit der Studienteilnehmer findet, „es komme darauf an“.

Okay, aber auf was genau kommt es denn an? Auf mein Alter? Meine Position? Auf den Raum, in dem ich mich bewege? Letzteres scheint mir am plausibelsten. In der Eckkneipe werde ich von der netten jungen Kellnerin geduzt. Nicht so mein Fall, aber ich beschwere mich nicht. Auch auf der Webseite eines Sneaker-Herstellers lasse ich mich duzen – kein Problem, siehe schwedisches Möbelhaus. In den sozialen Medien sehe ich das anders. Bei Facebook mag das ungefragte Duzen noch üblich sein, bei XING und LinkedIn finde ich es unangemessen. XING ist übrigens ein schönes Beispiel für einen echten Ansprache-Konflikt. Im Mai dieses Jahres teilte das Unternehmen mit, dass das Siezen auf der Plattform abgeschafft wird. Nun duzt XING also seine Mitglieder – doch die Mitglieder machen nicht mit und siezen sich weiterhin untereinander.

Das für mich beruhigende Fazit: Offenbar ist das Internet doch keine geschlossene Duz-Gesellschaft. Die überwiegende Mehrheit der Menschen differenziert weiterhin in der Ansprache danach, in welcher Beziehung sie zu ihrem Gegenüber steht. Alle anderen, die weiterhin gerne ihnen unbekannte Personen duzen und diesen Blogbeitrag lesen, möchte ich freundlich darum bitten, mich auf besagten Plattformen zunächst mit „Sie“ anzusprechen – solange, bis wir gemeinsam in der Eckkneipe sitzen und uns von einer jungen Kellnerin ungefragt duzen lassen.